Patrick Tirler

Willkommen auf meiner Seite! Ich freue mich, hier einige meiner Erlebnisse zu teilen. Viel Spass!

„Via tl vent“ (VIII+) Villnösser Rotwand

27.06.2021 – eine Route von Alex Waldpoth und Titus Prinoth – mit Moritz Sigmund

Die Villnösser Rotwand hatte schon seit Langem einen Platz in meiner Ideensammlung reserviert. Majestätisch und furchteinflößend ragt sie mit einer unglaublichen Steilheit aus dem Seceda-Plateau. Man findet kaum Informationen über die Routen und etwaige Wiederholungen. Als wir neulich Titus beim Sportklettern trafen, bemerkte er ganz nebenläufig, dass seine Routen in der berüchtigten Rotwand eine Wiederholung bräuchten. Seiner Zurückhaltung zufolge, wusste er genau, was uns erwarten würde und wir konnten es erahnen. Doch wir verdrängten es, um dem Abenteuer mit vollem Optimismus entgegenzufiebern.

Nachdem wir am Samstag die Alpinklettersaison am Meisules gestartet haben, war es am Tag darauf so weit. Die Routenwahl fiel auf die „Via tl Vent“, da sie mit 8+ zu einer der leichteren Routen zählt und wir glaubten den Schwierigkeitsgrad locker zu beherrschen. Wir trafen uns um 7:30 am Parkplatz in St. Christina und marschierten los. Drei Seile, Friends, Hammer und Nägel erschwerten die Rucksäcke deutlich. Moritz rannte regelrecht voraus, sodass ich Schwierigkeiten hatte ihm zu folgen. Mit jedem Schritt wuchs bei mir der Eindruck, dass Moritz wohl absichtlich einen kleinen Rucksack mitnahm, um ein paar Kilo Material zu entgehen. Schlussendlich stellte sich jedoch heraus, dass mein doppelt so großer Rucksack, nur kaum schwerer war als seiner. Auf den letzten Metern zur Panascharte begleitete uns Elisabeths Vater Egon musikalisch mit seinem Alpenhorn von der Almhütte aus. So erreichten wir nach eineinhalb Stunden durchgeschwitzt und motiviert den Einstieg. Wir dachten schon, mit dem ausgesetzten Quergang zum Einstieg das Gefährlichste geschafft zu haben, doch wir sollten uns täuschen.

Über unseren Köpfen erstreckte sich die mächtig überhängende Felswand und wir konnten erstmals das wahre Gesicht der Villnösser Rotwand erkennen. Die Wildheit, der brüchige gelbe Fels und die zahlreichen Dächer ließen uns für einen Moment verstummen. Doch wir ließen uns nicht einschüchtern und starteten voller Abenteuerlust in die erste Seillänge. Ohne große Probleme erreichte ich, über sandige Griffe, den ersten Stand und freute mich, als ich nur einen Nagel erblickte. Mit zwei Friends und dem Nagel baute ich einen zuverlässigen Stand und bewunderte den minimalistischen und sauberen Stil der zwei Grödner. Doch bereits in der nächsten Seillänge kamen wir ins Stocken. Ein langer seitlich verlaufender Riss nahm kaum verlässliche Zwischensicherungen auf und Haken waren auch keine vorhanden. Kurz vor dem Stand griff Moritz aus Angst vor einem ungemütlich, langen Sturz zum Hammer und versenkte einen Haken. Ich konnte seine Entscheidung im Nachstieg gut nachvollziehen und nahm den Haken wieder mit, um ja keine Spuren zu hinterlassen. Beim Stand angekommen verstand ich, warum Moritz beim Standbau fluchend herumbastelte. Ich verstärkte mit zitternden Händen den Stand mit einen Friend, um meine Nerven zu beruhigen.

Ich war froh als ich den Stand verlassen konnte, um die erste Schlüsselseillänge in Angriff zu nehmen. Doch nur wenige Meter später wünschte ich mir, dass ich den Stand nie verlassen hätte. Ein Dach versperrte den Weg in die senkrechte Platte. Nur mit Mühe gelang es mir die erste Zwischensicherung einzuhängen. Als ich die bereits gefädelte Sanduhr näher betrachtete rutschte mir das Herz in die Hose. Die Sanduhr bestand aus zwei Schuppen, die jeden Moment auszubrechen drohten. Der Spalt dazwischen war gerade noch schmal genug, dass die Kevlarschnur nicht durchrutschte. Ich wollte so schnell wie möglich weiterklettern, doch die Griffe waren schlecht und ein rettender Henkel war nicht in Sichtweite. Schließlich blieb mir nichts anderes übrig, als mit einem Stoßgebet in die Sanduhr zu sitzen, um meine aufgeblasenen Arme zu entlasten. Mit einem Puls, jenseits des normalen Werts, holte ich meinen kleinsten Messerhaken vom Gurt und begann mit behutsamen Schlägen eine BackUp-Sicherung anzubringen. Mit neuer Kraft und leicht beruhigten Nerven startete ich einen neuen Versuch und erreichte schließlich ein gutes Loch, wo ich einen bombenfesten Friend platzierte.

Die Angst aus der vorigen Stelle saß mir jedoch schon zu tief in den Knochen, um unbekümmert weiterzuklettern. In weiter Ferne sah ich die nächsten Sicherungsmöglichkeiten und dazwischen bot der etwas brüchige Fels nur wenige, und vor allem schlechte Griffe und Tritte. Jeder Rettungsversuch zur nächsten Sanduhr endete mit einem Rückzug, aus Angst vor einem Sturz. Im Nachhinein ärgerte ich mich, dass ich nicht doch etwas mehr riskiert habe, da ein Sturz in dieser steilen Wand bei akzeptablen Zwischensicherungen keine schwerwiegenden Folgen gehabt hätte. Außerdem hätte ein schöner Sturz ins Freie sicher viel Spannung abgenommen. Als ich es schließlich doch zur nächsten Sicherung schaffte, begann von dort das Spiel wieder von neuem. Ab zu erkundigte sich Moritz, der nun schon eine Ewigkeit ohne Sichtkontakt im ungemütlichen Hängestand verharren musste, nach der aktuellen Lage. Ich versuchte mich zu beeilen und war heilfroh als ich etwas bessere Griffe zu Greifen bekam. Der letzte Haken war schon weit unter den Füßen als ich verzweifelt versuchte einen Friend in ein großes offenes Loch unterzubringen. Nur eine Hälfte des Klemmgeräts wurde belastet, die andere schwebte frei in der Luft. Einen Bremser wird es schon machen, dachte ich mir und peilte das schmale Band, wo ich den Stand vermutete, an. Allerdings lag ich falsch.

Die Seillänge war noch nicht zu Ende. Die Platte über dem Band war wieder deutlich glatter und schwieriger. Nach einigen Versuchen gab ich schließlich auf. Meine Nerven waren blank. Nervös suchte ich nach einer Möglichkeit einen provisorischen Stand zu bauen. Ich konnte mein Glück nicht fassen, als ich eine kleine Sanduhr erblickte. Zur Verstärkung versenkte ich noch zwei Haken und überbrachte Moritz die lang ersehnte Botschaft. Nachdem sich ein riesiger Seilknoten endlich auflöste, setzte er zum Nachstieg an und staunte nicht schlecht, als erstmals hinter die Ecke blickte. Wir waren nun bereits vier Stunden in der Wand. Unser Notfall-Hakensortiment war aufgebraucht und der Gipfel war noch in weiter Ferne. So fiel uns die Entscheidung die Tour abzubrechen überhaupt nicht schwer. Das Seil reichte zwar nicht vollständig auf den Boden, doch wir spekulierten darauf, dass wir durch die Seildehnung den Boden mit einem Abseiler erreichen. Wir hatten Glück, denn ein Wiederrauf-Prusiken wäre äußerst mühsam gewesen.

Am Boden war die ganze Anspannung der letzten Stunden plötzlich weg und wir lachten über unser Scheitern. Alex und Titus hätten sich wohl prächtig amüsiert, wenn sie uns gesehen hätten. Doch wir waren froh wieder heil am Boden zu sein und unsere erste, und wahrscheinlich nicht die letzte Erfahrung in der Villnösser Rotwand gemacht zu haben.

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