Patrick Tirler

Willkommen auf meiner Seite! Ich freue mich, hier einige meiner Erlebnisse zu teilen. Viel Spass!

Commander Crack- Yellow Wall – Kirgistan

Im Sommer 2022 reisen Moritz Sigmund, Moritz Plattner, Elisabeth Lardschneider, Hannes Niederwolfsgruber, Alexander Obertimpfler und ich nach Kirgistan ins Karavshin-Gebiet. Nach einer zweitägigen Anreise mit alten sowjetischen Jeeps über steile, ausgesetzte Passstraßen und einer achtstündigen Wanderung mit Eseln und Pferden erreichen wir das Basislager im KaraSu-Tal. Auf der Suche nach Abenteuern erkunden wir die gewaltigen Granitwände, von denen wir kaum Informationen besitzen. Die folgende Geschichte hat Moritz Plattner im Basecamp geschrieben und erzählt von einem Erstbegehungsversuch an der Yellow Wall.

Yellow Wall

Text von Moritz Plattner

Teil 1: Große Träume 

Die internationale Klettercommunity reist an, um unsere neue Traumtour in der Yellow Wall zu begehen. Eine geniale Linie mitten durch den zentralen Teil der Wand. Beginnend mit tollen Verschneidungen und Rissen bis zum Band der “Diagonalen”. Dann einige leichtere Längen durch ein Risssystem zum ersten Highlight der Tour. Man kann sie bereits vom Wandfuß sehen. Eine gewaltige Untergriffschuppe, die sich zirka zehn Meter nach links zieht, bevor sie senkrecht nach oben immer schmaler wird und schließlich in eine glatte Wand endet. Etwa dreißig Meter weiter links jedoch befindet sich das zweite Highlight und der absolute Höhepunkt dieses fabelhaften Klettertraums. Ein kleiner Absatz mit einem Bäumchen und von dort aus das Unvorstellbare: ein 150 m langer, paradiesischer Handriss inmitten einer glatten rot-grauen Platte. Er schlängelt sich durch die gesamte Headwall bis zum Ende der Wand: ein TRAUM!

Headwall: Gut ersichtlich die Schuppe, der Riss und die glatte Platte dazwischen.

Um den Riss zu erreichen, muss nur noch die 30m-Traverse von der großen Schuppe zum Baum eingerichtet werden. Eine Pendeltraverse in 300 Meter Höhe macht diesen glatten Teil der Wand überwindbar. Vielleicht ist es sogar möglich, die Traverse eines Tages frei zu klettern. Erinnerungen zur Dawn-Wall werden wach. Soweit zumindest unsere Vorstellungen am Abend vor dem Aufbruch ins Ungewisse. 

An Motivation und Abenteuerlust fehlt es Patrick und mir schon mal nicht. Angestachelt von Motz beschließen wir, die gut studierte und ausgeguggerte Linie in Angriff zu nehmen. Das Material dafür haben wir sicher auch dabei. Die Handwaage zeigt das Gewicht der zwei Haulbags gar nicht mehr an… Trotzdem schinten wir in der ärgsten Vormittagshitze in Richtung Wandfuss. 

Yellow Wall mit Silver Wall im Hintergrund

Eine große Verschneidung bildet den logischen Einstieg des unteren Teils der Route. Als wir etwas weiter rechts in einer glatten Platte einen Bohrhaken entdecken, wundern wir uns bereits, ob es möglicherweise doch mehr Routen gibt, als gedacht. Es soll aber ja nur der Einstieg in die spektakulären oberen Längen bieten. Wir folgen der Verschneidung und planen den ersten Stand auf einem Pfeiler. 60 Meter sollten sich ausgehen, dachten wir. Doch erst nach zwei fast 60 Meter langen Seillängen erreichen wir den Pfeiler und wissen bereits, dass es wohl ein anstrengendes Unterfangen wird. Der Zustieg hat uns bereits total ausgelaugt und war nur unter der Vorstellung, der auf uns wartenden Köstlichkeiten aus bestem Granit, auszuhalten. Die Sonne kennt kein Erbarmen und brät auf uns herab, und dann noch das schwere Gepäck. Nur mit vollem Körpereinsatz lässt sich der 140l Haulbag bewegen, wenn der Sack nicht gerade wieder unter einer Kante hängen bleibt. Zumindest die Kletterei entspricht unseren Vorstellungen. Schöne Rissverschneidungen, die man alle clean bewältigen kann. An den Ständen finden sich immer 1-2 Bohrhaken einer bereits eröffneten Tour. Das Klettern und Haulen nimmt dabei aber viel Zeit in Anspruch und bald erreicht uns der langersehnte Schatten. Das Voranschreiten bleibt aber, dank eines von mir ausgelösten Fauxpas, stockend. Ich vergesse meine Kletterschuhe an einem Stand und muss 50m abseilen und wieder aufsteigen. Im Anschluss kommt es wie es kommen muss: Das Seil steckt fest und Patrick kommt um den 50m Jumargenuss auch nicht davon. Von nun an läuft es aber besser und wir erreichen, bevor es dunkel wird, noch einen Stand am Band, wo wir unser Portaledge aufspannen und gemütlich Abendessen können. Streng befolgen wir die Anweisungen der Fertignahrung. Sobald wir den Teil “umrühren” erreichen, fällt uns auf, dass wir kein Besteck eingepackt haben: ein Klassiker! Dafür haben wir genügend sonstiges Material heraufgeschleppt. Unter dem ganzen Zeug gewinnt der Schraubenschlüssel das Casting. Nur für die Suppenvorspeise fallen uns Defizite auf.

Beim Durchforsten des Haulbags ist es erstaunlich hell im Inneren des Sacks. Anscheinend hat der Rucksack auch gelitten. Bereits bei seinem zweiten Einsatz wurde er von den scharfen Granitkanten mehrmals durchlöchert. Das Überzelt haben wir umsonst dabei. Milde Temperaturen und kein bisschen Wind ermöglichen es, unter freiem Himmel und einem atemberaubenden Sternenhimmel zu übernachten.

Von der Sonne geweckt nach einer wunderschönen Nacht

Am nächsten Tag weckt uns die Wärme der Sonne. Zuerst als angenehm empfunden, entwickelt sich die Hitze schnell wieder zur Qual. Nach einem ausgiebigen Frühstück klettern wir immer näher an die Schuppe heran. Wir entscheiden uns, das Portaledge am Band zu lassen, um Gewicht zu sparen. Das Haulen fällt uns viel leichter. Die Kletterei hingegen wird steiler und ich kämpfe mich die erste Länge über hohle Schuppen und Handrissen empor. Nun finden wir keine Bohrhaken mehr und bauen auch die Stände nur mit Friends. Zehn Meter unter der Schuppe errichtet Patrick einen herrlich unangenehmen Hängestand, in dem ich die nächsten Stunden verbringen darf. “Commander Patrick”, wie ihn unsere kirgisischen Freunde nennen, kämpft sich den ersten Riss zur Schuppe hoch, bemerkt aber schnell, dass unser Material (1x5er und 6er Friend) niemals ausreichen wird. Mindestens 3-4x 6er-Friends wären nötig, um dieses Monster zu bezwingen. Zudem befinden sich im Inneren des Risses kleine, brüchige Gesteinsbrocken, die mich im darunterliegenden Hängestand zum Bombenopfer machen. In der Not beschließen wir einen Bohrhaken zu setzen. Auch das bringt keinen Durchbruch und wir beschließen nach dem dritten Bohrhaken den Rückzug einzuleiten, da wir nicht gekommen sind, um die gesamte Schuppe hochzubohren.

Die Schuppe am Beginn der Headwall

Auf einer benachbarten Tour seilen wir ab, nach einem kräftezehrenden Abstieg ins Basecamp, finden wir uns zum Abendessen ein und erzählen von unserem Abenteuer. Die Geschichte entspricht zwar nicht ganz unseren, zu Beginn geschilderten Erwartungen, trotzdem wirken unsere Kameraden bestens amüsiert.

Teil 2: Besessenheit (10 Tage später)

Der Riss in der Yellow Wall lässt mich nicht mehr los. Eines Nachts träume ich sogar, dass Hannes es bis in die zweite Seillänge schafft. Weil das Wetter nur Tagestouren zulässt und Lisi sich als motivierte Kletterpartnerin bereitstellt, wollen wir einen neuen Anlauf wagen, den Riss zu erreichen. Wir klettern diesmal ohne schweres Gepäck über die Diagonale unter die Headwall. Hier folgen wir der ersten Länge, die Patrick und ich erstbegangen haben. Heute fühlt sich diese Länge schon deutlich angenehmer an. Unser Plan geht auf und wir können noch vor dem nächsten Stand über eine Plattentraverse zum Stand der benachbarten Route queren, über die Patrick und ich uns bei unserem vorherigen Versuch abseilten. Nun versuchen wir über diese Route zum Baum und somit zum vielversprechenden Riss zu gelangen. Doch weit kommen wir nicht. Lisi bewältigt einige heikle Plattenstellen, kommt aber nach zwei Bohrhaken nicht mehr weiter. Eine blanke Stelle verhindert jegliches Weiterkommen. Auch mein Versuch bringt keinen Durchbruch. Doch ich entdecke eine kleine Drahtöse eines befestigten Copperheads. Nur kann ich diese um einen Meter nicht erreichen. Das Wetter schlägt um und wir seilen ab.

Die erste Seillänge in der Headwall. Im Hintergrund die Rampe der Diagonalen.

Im Basecamp wägen wir unsere Optionen ab. Einer der Tiroler Kletterfreunde schlägt vor, den Copperhead mit Hilfe eines Wanderstocks einhängen, als improvisierten Clipstick. Begeistert von dieser Idee steigen Lisi und ich am nächsten Tag mit Patricks Wanderstock im Gepäck erneut zur Yellow Wall. Schnell erreichen wir den Highpoint von gestern. Nach zwanzigminütigen Fummeln und etlichen Strategieanpassungen gelingt es mir tatsächlich, die Öse des Copperheads einzuhängen. Doch die Freude hält nur kurz. Bei geringster Belastung verabschiedet sich die Absicherung von seiner Verankerung und bricht aus.

Zum Glück haben wir aber noch eine Alternative im Hinterkopf. Die Idee der Pendeltraverse lässt mich nicht los und ich klettere zurück zum Stand. Dort reversiere ich den Plattenquergang und steige die brüchige Schuppe hoch, in Richtung der großen Schuppe, die Patrick und mich zum Umdrehen gezwungen hat. Mit zwei 6er Friends und technischer Kletterei erreiche ich mit Mühe den letzten gesetzten Bohrhaken. Lisi lässt mich etwa 8 Meter ab und schon laufe ich über die kompakten Platten hin und her. Mit viel Schwung erreiche ich eine enge, schräge Rampe knapp über dem Copperhead. Doch die Schwierigkeiten lassen entgegen unseren Erwartungen nicht nach. Die Rampe ist sehr schmal und es gibt nur kleinste Schwachstellen, um mich festzuhalten. Bald wird mir klar, dass ich den nächsten Bohrhaken nicht frei erklettern kann und ich bitte Lisi mir ihren Cliff zukommen zu lassen. Kurz darauf hänge ich in einem fragwürdigen Cliff und bereite mich auf einen überraschenden Sturz vor. Glücklicherweise hat Lisi noch ihre drei Klemmkeile mit, von denen zwei dieselbe Größe haben. Doch der kleine goldene Keil lässt sich nach etwas Säuberung zu zwei Drittel in einer Rissstruktur versenken. Langsam belaste ich ihn und kann den Cliff langsam etwas versetzen. Alles hält und ich erreiche einen Griff, von dem ich einen Bohrhaken einhängen kann. Leider sind die Expressschlingen bereits aufgebraucht und ich muss Friends als Expressen zurücklassen. Mental angeschlagen betrachte ich die erreichte Hakentraverse nach links. Mit viel Kreativität und technischer Improvisation hangle ich mich von einem Bohrhaken zum nächsten. Nach einem weiteren Pendler und unendlich verscherbelten Nerven ziehe ich mich technisch nach oben in Richtung Busch, der nach über zwei Stunden in der Seillänge in Reichweite scheint. Es benötigt aber noch weitere Säuberungen eines schmalen Risses in einem brüchigen Dach und Nachversorgung mit Friends um einen guten Riss zu erreichen, aus dem der vielversprechende Busch herauswächst. Mit letzter Kraft bezwinge ich die lähmende Seilreibung und erreiche den eingerichteten Stand. Geschafft, aber total am Ende.

Nun ist Lisi am Zug. Der Nachstieg erweist sich als ähnlich spektakulär und nervenaufreibend. Die extreme Seilreibung, Quergänge und Pendelaktionen fordern Lisi alles ab. Doch sie lässt sich nicht lange fuchsen und springt zu meiner Verblüffung unbeeindruckt immer wieder viele Meter ins Seil oder pendelt in brüchiges Gelände. Am Stand angelangt, verspüren wir gemischte Gefühle. Wir sind uns einig, dass es wohl keinen Sinn macht weiter zu klettern. Es ist spät und wir sind mentale Fracks. Wir sind nur 30m Luftlinie weiter gekommen als am Vortag und haben den Riss immer noch nicht geklettert. Trotzdem erlebten wir ein wildes Abenteuer und konnten unsere zwei Pläne mit dem improvisierten Clipstick und die Pendeltraverse erfolgreich umsetzen. Wir beschließen, dass das Abenteuer mehr Wert als ein Gipfelerfolg ist, und machen uns guten Gewissens und völlig erschöpft auf den Rückweg zum Basecamp. Commander Patrick wäre stolz auf uns.

Rot: Bereits existierende Route (clean, Standplätze mit Bohrhaken), geklettert am ersten Tag des ersten Versuchs (Patrick und Moritz); Gelb: Erstbegehung am zweiten Tag des ersten Versuchs, Umkehr bei der Schuppe; Grün: technische Route mit Copperheads; Blau: Routenverlauf des letzten Versuchs, Pendelquergang und dann technische Kletterei auf der bereits existierenden Route, Umkehr beim Beginn des Commander-Cracks

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