Patrick Tirler

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„Der fliegende Milchmann“ (VIII-) Santner

Erstbegehung am Santnerbauchpfeiler 03/04.09.2022 mit Moritz Sigmund

Bereits vor einigen Jahren hat sich diese besonders herausstechende Linie in meinen Kopf eingebrannt. Jedes Mal, wenn ich beim Zustieg zur Santner Nordwand aus dem Wald hinausblicke, schießt mir dieser perfekte Riss ins Auge. Pfeilgerade durchzieht er eine steile, gelbe Wand am rechten Rand der Nordwand des Santners. Im Anblick des Santers wirkt der kleine Pfeiler, auf dem sich der Riss befindet, klein und doch kann man ihm schon vom Weiten erkennen. Schon zu Schulzeiten leuchtete mir diese wunderschöne Linie jedem Morgen auf dem Schulweg ins Gesicht. Ich wusste schon damals, dass ich früher oder später dort oben klettern werde.

So kam es, dass ich im Jahr 2019 mit Felix Kiem die Route „Heiße Liebe! Eiskalt erwischt!“ (9-) von meinem Onkel Moritz Tirler und Florian Riegler einstieg. Die Route führt rechts von dem gelben Riss auf dem Pfeiler und sollte uns einen guten Ausblick bieten. Doch die Route entwickelte sich zu einem Abenteuer für sich selbst und so vergaßen wir komplett, einen genaueren Blick nach links zu werfen. Felix, für dem es eine der ersten Alpintouren war, erzählt noch heute von diesem prägenden Erlebnis.

Nach einer Expedition nach Kirgistan zusammen mit Moritz Sigmund und vier weiteren Freunden bin ich heuer wieder höchst motiviert auf Dolomit zu klettern. Ich habe Moritz schon oft von dieser Idee auf dem Santner erzählt und am Vorabend des 3. September beschließen wir, das Projekt endlich umzusetzen. Am Wandfuß angekommen überlegen wir nicht lange und wählen den leichten Einstieg über einen breiten Kanal. Nach zwei Seillängen 4er Kletterei in den Zustiegsschuhen erreichen wir einen schönen Standplatz ober den Latschen, von dem wir einen ersten genaueren Blick auf den Riss werfen können. Die Wand über uns wirkt im ersten Moment etwas brüchig, doch beim genaueren Betrachten stellen wir fest, dass der Fels im Grunde sehr solide ist. Eine weitere leichtere Seillänge bringt uns auf das Band unmittelbar am Beginn des Risses. Ich baue einen stabilen Stand an drei Friends und übergebe Moritz das gesamte Material.

Mit zwei Sätzen Friends und einigen Nägeln an den Hüften klemmt er seine Hände in den Riss und klettert drauf los. Um Gewicht zu loszuwerden, platziert er gleich beide 4er Friends. Der Riss lässt sich wie erwartet sehr gut absichern und so kommen wir schnell voran. An einem Hängestand an einem Nagel und zwei Bombenfriends tauschen wir Material und ich kletterte voraus. Der Riss wird immer schmaler und mit Freude können wir zum ersten Mal unseren kleinsten Micro-Friend einsetzen. Nachdem ich, nach etwa 25 Meter, fast mein ganzes Sicherungsmaterial aufgebraucht habe, nehme ich die restlichen vier Friends vom Gurt, stopfe sie in den Riss und verbinde sie zu einem Stand. Ich freue mich riesig über den komplett sauberen Stand, der meinen Anschein nach mehr als so mancher Gebohrter aushält. Ich ahne dabei noch nicht, welche Belastungsprobe auf diesen Stand gleich zukommt.

Während Moritz seinen Standplatz abbaut, lasse ich meinen Blick über die Wälder des Schlerngebiets streifen. Weit und breit keine Menschenseele in Sicht. Der Wald strahlt eine eigenartige Ruhe aus und übertönt all die Geräusche, die vom hektischen Alltag im Tal zu uns heraufklingen. In Gedanken versunken sichere ich Moritz nach. In den letzten Tagen ist sehr viel passiert, doch die einzige Frage die mich in diesem Moment beschäftigt, ist, wo der Adler, der über unsere Köpfe kreist, wohl sein Nest haben wird. Ich fühle mich wohl und bin froh hier zu sein.

Moritz ist inzwischen bei mir angekommen und freut sich gleich wie ich über den genialen Stand. Über uns verliert sich der Riss langsam in den kompakten grauen Platten. Ohne zu Zögern klettert Moritz drauf los und versucht nach etwa fünf Metern eine Sicherung zu legen. Doch der ausgewählte Felsspalt wehrt sich aus ganzer Kraft und nach einer Weile gibt Moritz auf. Erst später sollen wir bemerken, dass man weiter links einen guten Friend platzieren hätte können. „Do oben isch a Riss, do kriag i eppes inni!” Mit diesen Worten klettert er zügig weiter. Die Wand wird nun immer flacher und die Kletterei ist nicht mehr allzu schwer. An der besagten Stelle angekommen nimmt Moritz erneut einen Friend vom Gurt. In diesem Moment sehe ich wie sich etwas von seinem Gurt löst und an mir vorbei in die Tiefe fällt. „Oh nein, ein Keil!“ Ich beobachte wie der Keil im freien Fall dem Boden entgegenrast und bedauere den Verlust. Plötzlich höre ich von oben einen erschrockenen Schrei, der sofort meine volle Aufmerksamkeit erobert. Solche Geräusche hört in man in diesen Situationen absolut nicht gerne und deshalb schaue ich blitzschnell nach oben. Mit Schrecken sehe ich, wie Moritz langsam nach hinten kippt. Ein kleiner Griff zur Stabilisierung ist ihm gebrochen und daraufhin hat er sein Gleichgewicht verloren. Mit der letzten Hoffnung einen Wahnsinnssturz, direkt in den Stand, zu vermeiden, versucht er verzweifelt mit beiden Händen nach irgendwas Haltbaren zu schnappen. Doch sein Körperschwerpunkt ist bereits zu weit weg von der Wand. Im letzten Moment legt er sich das Seil zurecht und springt mit voller Kraft von der Wand weg. Mit zehn Metern Schlappseil rauscht er an mir vorbei. Alles geht so extrem schnell und ich habe keine Zeit zu reagieren, doch ich habe die Situation erfasst und bleibe erstaunlich ruhig. Meine große Sorge ist, dass er sich beim Aufprall sämtliche Knochen im Becken in Stücke reist, doch ich weiß genau was ich dagegen tun muss. Moritz fuchtelt in der Luft wie wild mit Händen und Füßen, und ich kann nur hoffen, dass er sich nicht im Seil verheddert. Nach einigen furchtbaren Sekunden des Fallens strafft sich das Seil. Ich bin auf diesem Moment vorbereitet und halte das Sicherungsseil gelassen in den Händen. Das Seil fängt an durch den Sicherungsknoten zu laufen und ich widerstehe dem reflexartigen Drang, das Seil festzuhalten. Nur langsam erhöhe ich den Druck in meiner Hand und bremse so die gewaltige Sturzenergie langsam aus.

Mit weit aufgerissenen Augen schaue ich nach unten. „Olles guat?“ „Jo, bei dir?“ Erleichtert über die schnelle Antwort, blicke ich zum Stand. Wie erwartet hat er keinen Wackler gemacht. Bei einem genaueren Blick auf das Seil, fällt mir etwas auf, dass ich noch nie gesehen habe. Auf etwa fünf Metern ist der Mantel durch die entstandene Hitze geschmolzen und bildet nun eine harte Kruste. Ich ziehe meinen Fuß unter dem gespannten Seil heraus und bemerke, dass mir das Seil einen fetten Verbrennungsstreifen eingebrannt hat. „Jo, olles guat!“

Nachdem wir uns von dem anschließenden Lachanfall erholt haben, klettert Moritz im Nachstieg die gesamte Schlüssellänge zum Stand. Als wäre nicht geschehen, probiert er es gleich nochmal. Diesmal platziert er auf dem Weg zum gebrochenen Griff gleich zwei Sicherungen. Nach etwa 20 Metern erreicht er einen Haken, den Moritz und Florian vor 17 Jahren zum Abseilen verwendet haben. Zusammen mit einem zweiten Nagel und ein Köpfchen baut er einen Stand und ich klettere nach. Die nächste Seillänge verlangt nochmals volle Konzentration und etwas Kreativität beim Absichern. Nach einer weiteren leichten Länge erreichen wir den Pfeilerkopf und entscheiden, die Route hier an einem logischen Punkt zu beenden.

Am nächsten Tag kehren wir nochmals zurück, um die Route freizuklettern. Mit dem Wissen über die genauen Placements fühlt sich alles viel leichter an. Ohne Anspannung genießen wir die Kletterei aus ganzen Stücken und freuen uns, die Linie in einem sauberen Stil geklettert zu sein. Glücklich über das erfolgreiche Wochenende steigen wir ab und Moritz macht sich gleich auf dem Weg nach Brixen, wo eine achtstündige Nachtschicht in der Brimi auf ihn wartet.

Routeninformationen:

Die Route führt durch eine sehr logische Linie auf dem Santnerbauchpfeiler. Wir haben bis auf drei Haken keine Spuren hinterlassen und bewahren damit für Wiederholern das Gefühl einer Erstbegehung. Die Route kann sehr gut abgesichert werden und verlangt neben den klettertechnischen Fähigkeiten auch einen sicheren Umgang mit mobilen Sicherungsmitteln. Die Standplätze müssen ebenfalls selbst eingerichtet werden und ein Rückzug ist nur über die eingezeichneten Abseilstellen möglich.

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