2017 – Der Anfang
Es war Anfang Juni und die alljährlichen Italienmeisterschaften in Arco waren voll im Laufen, als uns die schreckliche Nachricht vom tödlichen Lawinenunglück am Großglockner erreichte. Manuel Jaider, mein langjähriger Klettertrainer bei „Klettern Schlern“ und Kletterpartner, verlor dabei sein junges und fröhliches Leben. Sofort brannte sich in mir der Gedanke ein, für Manuel und Bernhard als Dank für die unzähligen Trainingseinheiten und die vielen alpinen Abenteuern eine neue Route zu eröffnen. Die Mumelterkopfwand am Schlern war mir dafür steil genug und so dauerte es nicht lange, bis ich zusammen mit meinem Vater Hans jede Menge Material auf den Schlern schleppte, um die ersten Vorbereitungen zu treffen. Einige Wochen später kehrten wir zurück zum Einstieg, um die erste Seillänge zu klettern. Mit dem neugekauften Cliff wusste ich damals noch nicht viel anzufangen, deshalb bohrte ich alles aus der Kletterstellung ein und konnte mir kaum vorstellen, in der darüber liegenden, deutlich steileren Wand weiterzumachen. Doch Aufgeben kam nicht in Frage und so wartete ich auf den nächsten Sommer, mit dem festen Vorsatz, die Route im nächsten Jahr fertigzustellen.
2018 – Die Vision
Es waren vor allem Tage, an denen sich kein Kletterpartner finden ließ, sodass ich alleine und völlig in Gedanken versunken, den mühsamen Aufstieg bewältigte, um anschließend an den Fixseilen abzuseilen und an meiner Route weiterzuarbeiten. Es war ein eigenartiges Gefühl, in totaler Einsamkeit gegen die Steilheit der Wand anzukämpfen. Eine merkwürdige Kraft trieb mich dabei an und Manuel und Bernhard waren in meinem Kopf so präsent wie nie zuvor. Es war bereits spät im Sommer, als ich endlich mit dem Stand der ersten Seillänge zusammentraf und die Route als beendet erklären konnte. Ich hatte keine genauen Vorstellungen von der möglichen Schwierigkeit, doch ich wusste, dass es keine einfache Route geworden ist. Noch im Herbst wagte ich zusammen mit meinem Onkel Moritz einen ersten Freikletterversuch im dichten Nebel. Ich staunte nicht schlecht, als ich die weiten Hakenabstände in der ersten Seillänge feststellte, denn ich hatte sie etwas anders in Erinnerung. Auch die erste schwere Seillänge überraschte mich, denn die beim Einbohren abgetasteten Leisten waren kleiner als gedacht. Nach kurzem Putzen und Ausbouldern schaffte ich auch die Einzelzüge der darauffolgenden Seillänge. Der Nebel hatte sich inzwischen ein wenig gelockert und wir bemerkten, dass der Rest der Wand vollständig nass war. So entschieden wir uns für einen Rückzug und fixierten das Trainingsziel für den nächsten Sommer.
2019 – Geduld
Ich fühlte mich bereit für den Durchstieg und war überzeugt, dass es in diesem Jahr klappen wird. Anfangs noch geduldig und dann immer genervter musste ich jedoch Woche für Woche abwarten, da es fast jedes Wochenende oder wenige Tage davor regnete und die Route in ein Schwimmbad verwandelte. An den wenigen Tagen mit trockenen Bedingungen musste ich entweder arbeiten oder ich fand niemanden, der mich begleiten konnte. So waren die Sommerferien fast zu Ende, als ich einen ersten Versuch in diesem Jahr starten konnte. Ein Durchstieg war jedoch noch weit entfernt und ein weiterer Versuch ging sich in diesem Jahr nicht mehr aus. Der Winter brach herein und ich freute mich auf das nächste Jahr.
2020 – Der Durchstieg
Nach einem intensiven Trainingsjahr fühlte ich mich fitter als je zuvor. Nach dem Abschluss der Matura hatte die erste freie Begehung meines nun 3 Jahre alten Projekts höchste Priorität. So kehrte ich, einige Tage nachdem ich meine erste 8c geklettert war, mit neuer Motivation zurück zum Schlern. Ich seilte mich ab und boulderte die Schlüsselstellen nochmals aus. Ich fand etwas leichtere Lösungen und konnte mir erstmals vorstellen, einen ernsthaften Durchstiegsversuch zu starten. Mein Vater hatte mir bereits zugesagt, mich, bewaffnet mit Jumar und Trittleiter, zu begleiten. So kam es, dass wir am 10. Juli bei warmen Sommerwetter vor der ersten Schlüsselseillänge standen. Mit gutem Gefühl überwand ich die erste Schwierigkeit. Auch die nächste Seillänge über die zwei markanten Dächer auf bestem Fels ging ohne Probleme. Alles fühlte sich sehr viel leichter an, als die vergangenen Jahre. Die nächsten zwei Seillängen waren komplett nass, doch ich schreckte nicht zurück und kämpfte mich mit nassen Händen zum Band vor dem großen Überhang. Dort legten wir eine etwas längere Pause ein, um die bereits ein wenig ermüdeten Arme zu erholen. Ich dachte an Manuel und Bernhard und konnte sie beinahe hören, wie sie ihren Athlet anfeuern. „Attacke“ war eines der Lieblingsworte Manuels und weckt heute noch viele Erinnerungen unter den Kletterern, die ihn kannten. Konzentriert kletterte ich die ersten schwierigen Züge zur Schlüsselstelle. Mit eisernen Willen schraubte ich die Leisten zu und kletterte über den steilsten Teil der Wand. Vor dem letzten Zug zum rettenden Henkel spürte ich, dass die notwendige Spannung im rechten Oberarm fehlt. Mit letzter Kraft und mit einem lauten Schrei schnappte ich in den Henkel und blieb entgegen aller Erwartungen hängen. Unglaublich erleichtert schüttelte ich kurz meine müden Arme und kletterte über perfekte Henkellöcher die letzten Meter zum Stand. Wenig später erreichten wir den Gipfel des Mumelterkopfs, der sich in den letzten Jahren zu einem meiner Lieblingsplätze entwickelt hatte, und waren glücklich darüber, eine Erinnnerungsroute an zwei Freunde, die viel zu meinen Kletterleben beigetragen haben, vollendet zu haben.
Danke an Hans und Moritz Tirler für die Begleitung, Verena und Erich von der Schlernbödelehütte für die Unterstützung und dem AVS für die Bohrhaken!
Zustieg: Vom Parkplatz Bad Ratzes zur Schlernbödelehütte. Von dort weiter über den Gamssteig in Richtung Schlern. Der Einstieg befindet sich direkt am Gamssteig und ist mit einer weißen Schlinge an einer Sanduhr markiert. Die Wand ist bereits vom Parkplatz und von der Schlernbödelehütte gut ersichtlich. (1h 40min)
Absicherung: Alle Stände und Zwischensicherungen sind mit Bohrhaken versehen
Material: 14 Expressschlingen
Abstieg: Vom Gipfel den Osthang des Mumelterkopfs über steile Wiesen queren und anschließend auf das Schlern-Plateau aufsteigen. Über die Wiesen nach Osten gehen und über den Gamssteig absteigen.